Jährliche Archive: 2009

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Was macht das Bundesverfassungsgericht? oder: Wolfgang Schäuble hat unseren Rechtsstaat nicht verstanden

In einem sehr interessanten Streitgespräch zwischen Winfried Hassemer, dem früheren Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts, und Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (welches ich bei der FAZ gefunden habe) sagt unser „Terrorminister“:

„Ich habe zum Beispiel verfassungsrechtliche Zweifel, ob das Verfassungsgericht wirklich entscheiden sollte, für welche Straftaten man welches Instrument gesetzlich vorsehen kann oder nicht.“

Natürlich sollte man das nicht völlig aus dem Kontext reißen (also lest das ganze Gespräch!) aber mein erster Eindruck davon ist: „Hat Wolfgang Schäuble unseren Rechtsstaat verstanden?“ Also nochmals für Sie lieber Herr Schäuble:

„Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wacht über die Einhaltung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Seit seiner Gründung im Jahr 1951 hat das Gericht dazu beigetragen, der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Ansehen und Wirkung zu verschaffen. Das gilt vor allem für die Durchsetzung der Grundrechte.“

Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Rechtsstaat mit Gewaltenteilung. Das Bundesverfassungsgericht stellt hier die oberste Instanz der Judikative dar und hat die Aufgabe unsere Grundrechte zu sichern. Sie, Herr Schäuble, sind Teil der Legislativen (wenn man auch manchmal den Eindruck hat, dass der Einfluss des BKA auf Sie etwas groß ist). Sie haben also die Aufgabe Gesetze zu verbessern. Dass verbessern stark subjektiv ist sehen wir ja Tag für Tag, aber gut.

Unser aller Grundlage sind die Grundrechte, niedergeschrieben im Grundgesetz. Sollten Sie (oder Ihre Kollegen) nun auf die Idee kommen Gesetze zu erlassen, die mit diesen Grundrechten nicht vereinbar sind, dann ist es die Aufgabe der Karlsruher Richter Ihnen auf die Finger zu klopfen. Auch wenn Sie gerade dabei sind Instrumente für Straftaten vorzusehen.

Vielleicht sollten Sie – statt die wichtige Arbeit des Bundesverfassungsgerichtes anzuzweifeln – von vorne herein dafür sorgen, dass Ihre Vorschläge dem Grundgesetz nicht entgegen stehen. Als hilfreiche Lektüre lege ich Ihnen besonders Artikel 1, 2, 5, 10 und 13 im Grundgesetz nahe. Wo Sie gerade dabei sind: Gründen Sie doch eine Lesegruppe mit Frau von der Leyen, sie hat diesbezüglich ja auch etwas Nachholbedarf.

Auch der Spiegel und Golem haben darüber schon berichtet.

Winnenden 2009

Nach den traurigen Ereignisse des gestrigen Tages war eigentlich schon klar, was heute kommen wird. Hans-Peter Uhl schreibt in einer Pressemitteilung zum Amoklauf in Winnenden:

„… Das im Juli 2008 reformierte Jugendschutzgesetz, unter anderem mit dem Ziel, den Jugendschutz im Hinblick auf Computerspiele zu verbessern, ist nicht ausreichend.
Bei dem Amoklauf in Winnenden zeigt sich erneut, dass der Täter im Vorfeld seiner Tat sich intensiv mit so genannten Killerspielen beschäftigt hat …“

Es folgt noch etwas bla bla über Altersbeschränkungen und die Wiederholung einer Aussage von letztem Sommer, indem das Jugendschutzgesetz bezüglich Computerspielen überarbeitet wurde:

„… Ein weiteres Nachdenken über geeignete Maßnahmen des Jugendschutzes ist ausdrücklich geboten …“

Politik ist so einfach: nimm einen aktuellen Anlass ausreichender Tragweite, zitiere dich selbst, wie du dir schon vor einem halben Jahr die Lösung vorgestellt hast und fertig ist dein Erfolgsrezept. Lieber Hans-Peter Uhl, auch wenn einige Politiker und Mitbürger so einfach gestrickt sind, die Gesellschaft im Ganzen ist es nicht. Selbst wenn „Killerspiele“ komplett vom Markt genommen werden könnten würde es Menschen geben, die ausrasten und andere umbringen.

Ich glaube es liegt viel mehr an uns als Gesellschaft, dass so etwas passiert. Es sind die Werte, die Kontakte und Zuneigung die wir versäumt haben Tim in den letzten 17 Jahren zu vermitteln. Ich kenne mehr als eine Person, die gerade in einer schwierigen Situation ist und Gefahr läuft mit dem Leben nicht mehr klar zu kommen. Trotzdem renne ich jeden Tag weg statt mich in Liebe um sie zu kümmern. Aber für den anderen da zu sein, das ist es was unsere Gesellschaft verändert. Wir haben alle Verantwortung für unsere Freunde, Kinder und Bekannten. Es kann nur in persönlichen Beziehungen erkannt werden, wenn es einem Menschen dreckig geht. Und wer in einem sozialen Umfeld eingebunden ist, Freunde hat und lebendige Beziehungen pflegt der kann Killerspiele zocken, Gewaltfilme schauen und Waffen besitzen so viel er will – er wird das Leben der Anderen achten, weil er selbst Achtung erfährt. Lasst uns diese Menschen wahrnehmen und ihnen begegnen.

Zurück zur Gesetzgebung: Strengere Vorschriften bezüglich Waffenbesitz oder Killerspielen haben meiner Ansicht nach keinen Wert. Durch ein Verbot gewinnen die Dinge an Reiz und selbst wenn die Verbreitung insgesamt zurückgeht – die Personenkreise die Missbrauch damit treiben werden verbotenes erst recht besitzen. Der Rückgang betrifft nur die Vernünftigen. Wenn eine Person die Bereitschaft aufbringt Andere zu töten, liegt das nicht an einem Computerspiel – und sich die Waffen zu beschaffen ist ganz sicher auch nicht das Problem. – Man kann auch mit einem Küchenmesser Amok laufen.

Ich wünsche allen Betroffenen ein soziales Umfeld mit Beziehungen in denen sie ernst genommen werden. Es ist nicht leicht wenn man solch eine Tat erlebt hat wieder zum Alltag zurück zu kommen. – Das geht, und muss auch nicht, von jetzt auf nachher. Ich wünsche allen Schülern, Lehrern, Eltern, Verwandten und Bekannten genug Kraft um das erlebte zu verarbeiten und dann nach vorne zu blicken und wieder Hoffnung zu fassen.

Update: Dirk von Gehlen schreibt auf jetzt.de dazu.

Jörg Tauss

Ich wollte mich ja raushalten und die Vorfälle um Jörg Tauss hier (noch) nicht kommentieren. Gerade habe ich aber im Compyblog von den vielen Zufällen gelesen, die in diesem Zusammenhang durchaus interessant sind. – Da musste ich einfach…

Ich halte nichts von Verschwörungstheorien, aber wir sollten keine vorschnellen Urteile aussprechen (oder denken). Bislang geht es um Ermittlungen – weiter nichts. Trotzdem immerhin Ermittlungen. Nebenbei: Mich würde mal interessieren, gegen wie viele Verdächtige zwar ermittelt wird, sich der Verdacht aber nicht erhärtet. (Weiß hier jemand Zahlen? -> Kommentar hinterlassen!) Sollte sich der Verdacht nicht bestätigen, so wird doch das Bild, welches uns von den Medien inzwischen vermittelt wurde, irreparablen Schaden hinterlassen. Auch wenn Tauss nach dem jetzigen Rücktritt von seinen Ämtern diese wieder übernehmen würde.

Versteht mich nicht falsch – sollte der Verdacht durch Beweise gestützt werden, bin ich absolut dafür, dass Tauss ein angebrachtes Verfahren bekommt und seine politische Karriere beendet (wird). Aber er sollte, im für ihn positiven Ausgang, die Chance haben so weiter zu machen wie bisher. Also, liebe Medien, übt euch in Zurückhaltung! Euch, lieben Lesern kann ich nur empfehlen, alles was ihr hierzu hört und lest genau zu prüfen und zu hinterfragen. Urteilt erst, wenn genügend Tatsachen auf dem Tisch liegen.

Dass ihr euch selbst ein Bild machen könnt hier noch ein paar Links zusätzlich zu denen im Text, die ich persönlich aber sehr unterschiedlich einschätze:
Pressemitteilung von Jörg Tauss
Statement von Markus Beckedahl auf Netzpolitik.org
„Online-Datenschutzbeauftragter“
justizskandale.de
Rechtsanwalt Stadler

Update: Auf der Seite Abgeordnetenwatch.de hat man die Möglichkeit den Politikern direkt Fragen zu stellen, die sie dann öffentlich beantworten (sofern sie es tun). Jörg Tauss hat hier am 17. Februar zum Thema Kinderpornographie geschrieben:

„Der sexuelle Missbrauch von Kindern ist, in welcher Form auch immer, inakzeptabel.“

Update 2: Gerade noch gefunden: czyslansky » Ekelhaft!

Update 3: czyslansky bietet noch mehr interessante Hintergrundinfo

Patente oder Märkte?

Patente gewähren ihrem Besitzer exklusive Rechte und werden darum als innovationsförderlich angesehen. Dazu wurden sie ja auch erschaffen. Debrah Meloso Jernej Copic und Peter Bossaerts schlagen in einem „Science“-Artikel ein alternatives Markt-basiertes System vor, um (finanzielle) Anreize für Innovationen zu schaffen, ohne damit der restlichen Welt Einschränkungen aufzuerlegen. Ihre Experimente legen nahe, dass diese vorgeschlagene System genau so gut und in einem Fall sogar besser abschneidet als das Patentsystem. Trotzdem wagen sie nicht vorzuschlagen Patente anzuschaffen, sondern schließen mit:

„In summary, our experimental findings suggest that the patent system is not a universally superior way to incentivize intellectual discovery. We proposed a markets system that we found to work equally well, and in one respect, better. Our markets system avoids many of the problems associated with a patent system. Its main feature is that everyone shares in the fruits of intellectual discovery, because everyone starts with shares in the components of potential discoveries; still, all those who actually spent the time to find the best solution have the potential to earn more.“

Patente haben in meinen Augen verschiedene Schwierigkeiten. So haben sich beispielsweise Firmen auf die Vermarktung von Patenten spezialisiert. Sie tun nichts anderes als Patente kaufen, Lizenzen dafür weiterzugeben und vor Gericht ziehen um produktiven Firmen das Leben schwer zu machen. Sie produzieren keinerlei gesellschaftlichen Mehrwert, sind keineswegs innovativ und produzieren nicht mal innovationslose Güter. Sie kosten bloß Geld. Andere Schwierigkeiten zeigen sich in Enwicklungsländern, wo Menschen verhungern oder an Krankheiten sterben, weil „wir“ ihnen verbieten die nötigen Medikamente, Dünger, Pflanzenschutzmittel, … selbst zu produzieren und sie ihnen nur teuer verkaufen. Abgesehen davon scheint es auch an der Umsetzung hin und wieder zu hapern. Es werden sehr viele Patente erteilt, obwohl die Sache nicht neu oder eigentlich trivial ist. Erst wenn dann jemand klagt und das Gegenteil beweist werden diese zurückgenommen. Oder wie ist das mit den Bauern, die ihre Kartoffeln im nächsten Jahr nicht wieder stecken dürfen – weil das Saatgut patentiert ist und sie deshalb gezwungen sind wieder neues Saatgut zu kaufen?

Naja, den Pre-Print des Artikels gibt es auf der Webseite von Debrah Meloso zu lesen. Die engültige Fassung ist leider nur einer ausgewählten Leserschaft zugänglich, nämlich den Abonnenten des Wissenschaftsmagazins Science. (Was ich daran schon wieder auszusetzen habe erzähle ich ein ander Mal ausführlicher als hier.) Gefunden habe ich die Veröffentlichung über golem.de.

Wahlcomputer sind Verfassungswidrig

Es hat sich wieder einmal bestätigt: Die wichtigste Instanz der heutigen Politik sitzt in Karlsruhe: Das Bundesverfassungsgericht. Es ist zwar traurig, dass es in letzter Zeit so oft eingreifen muss, und sich die Politiker nicht schon an unserer Grundwerte besinnen, bevor sie etwas beschließen. Aber es ist ja schön zu sehen, dass das System insgesamt noch funktioniert. Wenn doch auch stark zeitverzögert. Immerhin sind seit neune Jahren in Köln „digitale Wahlhelfer“ im Einsatz und erst heute wurde ganz klar bestätigt, dass sie in der bisherigen Form nicht erlaubt sind.

Ein Arbeitskollege meinte neulich zu dem Thema „Bei Wahlmaschinen ist es so wie bei allen Maschinen: Sie sollen einem die Arbeit abnehmen. Hier konkret: die Arbeit des Wählens.“ – So ironisch dieser Kommentar ist, so einfach ist es jedoch die Wahlcomputer zu manipulieren.

Schon seit Jahren wird kritisiert, dass bei der Verwendung von Wahlmaschinen für den Bürger die Wahl nicht mehr nachvollziehbar ist. Dies ist nun auch einer der Hauptgründe für das Verbot der Wahlmaschinen.

Der Vollständigkeit halber: netzpolitik.org berichtet natürlich auch, und sogar SWR1 hat darüber berichtet.

Johannes Kreidler und die GEMA (2)

Ihr erinnert euch sicherlich noch an die Kunst-Aktion von Johannes Kreidler. Er ist Mitglied bei der GEMA und hat ein 33-Sekunden Musikstück („Product Placements“) komponiert, in welchem er 70200 andere Musikstücke wiederverwendet. Nun gibt es eine Doku dazu bei YouTube die sehr zu empfehlen ist:


YouTube  

(gefunden übrigens auf netzpolitik.org)